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Als mein Roman "Der große Bagarozy" herauskam,
las ich in vielen Kritiken, es sei ein leichtes Buch, das sich als Filmvorlage
geradezu aufdrängen würde. Jetzt ist der Film da.
Die Kritiken sprechen von einer komplizierten, sperrigen Romanvorlage,
die man in Fachkreisen für völlig unverfilmbar hielt.
Das Plakat war schlecht. Der Blick aufs Wesentliche wird
von einem Pudel getrübt. Jetzt hat eine CSU-Stadträtin Anzeige
wg. Verbreitung von Pornographie erstattet und plötzlich ist das
Plakat gut. (Wann wurde in D. zum letzten Mal über ein Filmplakat
debattiert?)
Warum allerdings Herr Norbert Niemann (in "13") aufgrund dieses
Plakates erkennt, in einer reziproken Adenauer-Gesellschaft zu leben
das sind so die kleinen Rätsel des Lebens, die einen nicht wirklich
interessieren.
In seinem letzten Beitrag
bezeichnete John v. Düffel die Sonnenfinsternis, die "Sofi",
als "Flop".
Ich empfand das nicht so. Wir feierten eine gemütliche Mittagsparty
bei Doblers in Augsburg, Hettche war da, es gab gut zu essen und trinken,
und wir standen pünktlich oben auf dem Flachdach des vierstöckigen
Mietshauses.
Der Himmel war mit finsteren Wolken verhangen, aber von Westen schob sich
eine Lichtinsel langsam auf Augsburg zu. Wie bestellt lag diese Lichtinsel
zum Zeitpunkt der Konjunktion direkt über uns, während rundherum
braune und violette Gewitterwolken tobten. Es war ein schönes Schauspiel.
Genau so.
Die Bedingungen waren ideal. Nicht, daß ich so beeindruckt gewesen
wäre, um mir einen Text Stifterscher Emphase abzuringen, nein. Aber
wir hatten Glück gehabt, und wie mir Kollege Oswald erzählte,
hatte er im Münchner Westpark ähnliches Glück gehabt. Worauf
will ich eigentlich hinaus?
Nun, ein präzise vorhersagbares Phänomen, von dem wir wußten,
wann genau es passieren, wie es aussehen, welche Folgen es bei ungeschützter
Ansicht zeitigen würde, reichte hin um ein Sommerloch zu füllen,
das ich als größtes bisher überhaupt wahrgenommen habe.
Die Sonnenfinsternis war eine Sonnenfinsternis. Nicht mehr, nicht weniger.
Wenn da jemand von einem 'Flop' spricht, meint er vielleicht, daß
dieses wohl beeindruckendste natürliche Phänomen auf dem Planeten
Erde nicht jene Wirkung auf ihn gehabt hat, wie sie von Zeugen früherer
Sonnenfinsternisse überliefert ist. Er will wohl sagen, daß
die Attraktion der vom Menschen noch ungesteuerten Realität hinter
den Reiz virtueller Sehenswürdigkeiten zurückgetreten ist. Nehme
ich an. Er hat wohl Recht.
Zwei Haltungen sind dazu zu beobachten. Jene, die sich Sorgen macht über
den Attraktivitätsverlust der Natur, und den Menschen in einem Netzwerk
zeitabtötender Reize gefangen sieht, in welchem wachsende innere
Leere mit immer neuen Neuem betäubt werden muß. Und die andere
Haltung, stolz zu sein auf die Gattung Mensch, die mit dem Ziel, Gott
zu werden, im Zirkusbetrieb des Lebens alle sogenannte 'Natur', sprich
exzeptionelle Wettererscheinungen und Himmelskörperkonstellationen,
als nicht mehr im Hauptkanal sendefähig abgehakt, die ein besseres
Animationsprogramm entworfen hat, als alles, was hier seit Milliarden
Jahren Steine und Tiere zu beunruhigen vermochte.
Man kann das Verb 'begeistern' jederzeit durch 'beunruhigen'
ersetzen. In den allermeisten Fällen wird die intendierte Aussage
nicht grundlegend verfälscht, wohl aber wird eine Art doppelter Boden
geschaffen. Jedes Amüsement zielt auf eine Beunruhigung hin, auf
eine Aufregung. Umgekehrt:
Wo immer jemand behauptet, er sei beunruhigt über etwas, kann man
behaupten, er sei begeistert, es stimmt, es stimmt sowieso, und wenn es
überhaupt nicht stimmt, dann stimmt es schon wieder im ironischen
Sinn. Ich fühle mich heute gut, deshalb, weil ich am Stadtrand wohne.
Weil ich mich über die mykologischen Attraktionen des Herbstwaldes
genauso freuen kann, wie ich mich über die Sofi gefreut habe oder
eine blühende Sommerwiese. Und wenn ich von all dem genug hatte,
ging ich ins Internet,
ins Kino oder sonstwohin. Vielleicht sogar noch einmal in ein Buch. Ich
fühle mich als Mensch unsrer Zeit privilegiert gegenüber allen
davor liegenden Generationen.
Die Neunziger Jahre dieses Jahrhunderts werden, so denke ich, in die Geschichte
eingehen als die Ära der Emanzipation des Virtuellen gegenüber
der Realität. Wer darum die Realität aus den Augen verliert,
ist selber schuld.
Houellebecq und Easton Ellis sind Schriftsteller, die der Zeit, in der
sie leben, zuviel Neues unterstellen.
Sie leisten Oberflächenbeschreibung mit einer elaborierten, formal
adäquaten Methode (vulgo 'Masche'), dringen aber nie weiter in den
Kern der Dinge vor. Autoren, die der eigenen Ära einreden, daß
sie ihr etwas ganz Spezielles über sie mitzuteilen hätten. Was
nicht stimmt. Es ist gelogen.
Obligate Schwarzmalereien. Lügen, die den Behauptungen der Blumenkinder
damals, es gebe bald keine Kriege mehr, nur freie Liebe, in überhaupt
nichts nachstehen.
Menschen sind nicht zu Marken geworden, die Bilder nicht zu Waren. Bilder
waren immer schon Marken, Menschen immer schon Waren. Unter der Oberfläche
ist alles viel komplexer, lebendiger und feinsinniger, als es die alte
Linke mit ihrem naiven Blick wahrnehmen will. Es wird weiter geliebt werden,
auch unter häßlichen Menschen (Bier kann da sehr viel erreichen).
Ich sehe auch tut mir leid nirgends Terroristen, die einfach
"um des Chaos willen" Bomben legen, nein, alle haben dieselben
schwachsinnigen Motive wie immer.
Phänomene kommen und sie gehen auch wieder, das Substantielle
bleibt fast unverändert.
Es gibt hierzulande zu wenige Autoren mit Surround-Horizont. Solche, die
sich nicht mit Phänomenen aufhalten, bzw. sich von ihnen täuschen
und becircen lassen, sondern von einem Punkt aus in alle Richtungen
zur Substanz vordringen, dem jenseits der Dekade Gültigen.
Es kommt dabei überhaupt nicht darauf an, etwas vorherzusagen. Das
ist egal, und höchstens einem selbst von Nutzen.
Vor dem Eintreffen ist das Vorhergesagte unbewiesen, hinterher ist es
deckungsgleich und fällt nicht auf.
Außerdem: Man kann mit etwas recht haben, am Wesentlichen jedoch
weit vorbeisegeln.
Ein Beispiel? Gestern fiel mir das ein.
Vor etwa zehn, fünfzehn Jahren sagte ich zu Beatrice, daß ich
mir vorstellen könne, daß in naher Zukunft jeder Durchschnittsbürger
seine mobile, tragbare Telefonzelle mit sich trägt.
Ich stellte mir das damals als eine Art Fönhaube vor, die man sich
aufsetzen muß, um mit anderen Haubentauchern zu kommunizieren. Es
hilft nichts, wenn ich erwähne, daß ich mir diese Haube aus
leichtem Styropor vorstellte. Die Vorstellung bleibt lustig/peinlich
auch zwei Wörter, die jederzeit gegeneinander austauschbar sind.
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