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Zum ersten Mal erfahre ich von einem Krieg aus dem
Internet, schrieb ich an dieser Stelle vor vier Wochen, so kleinlaut wie
möglich einen Anfangspunkt der Aufmerksamkeit markierend zur Vermessung
kommender und befürchteter Gegenwart. Ungewiß da noch, was
in vier Wochen daraus entstanden sein würde. Und nun gibt es am Firmament
von NULL das Sternbild Krieg.
Zentralstern dieser astrologischen Konstellation ist Ende April
ein Text Brigitte Oleschinskis,
der die eigene Geschichte an die Stelle einer Meinung zum Krieg setzt
und in gewissem Sinn ähnlich wie der Aufsatz von Leander
Scholz die Gegenwart an die eigene Biographie zurückbindet, um
so etwas von der Tiefenschärfe zurückzubekommen, die in der
aktuellen Debatte über den Kosovo-Konflikt verlorengegangen ist.
Auch Dagmar Leupolds Miniatur übt
sich in einem klugen Verfahren für Krisenzeiten, nämlich im
Augenwinkel einen Blick auf die Wirklichkeit zu erlangen, wenn einen die
Blitzlichter zu sehr schon geblendet haben. Doch der Ton hat sich auch
in NULL geändert. Thomas Meinecke
läßt Texte aus NULL im Schlaglicht des Krieges vorbeidefilieren
und fordert den Kopf Joschka Fischers. Was Helmut
Krausser zu einer Replik veranlasst, in der er seinerseits mobil macht.
Während ich überlege, welche Konsequenzen solche Texte in NULL
haben könnten, erinnere ich mich plötzlich an eine Werbung der
Zigarettenmarke West, die man hier in Krakau kurz nach dem Beginn der
Bombardements plakatierte. Großflächige Plakate auf den Billboards
der Ausfallstraßen zeigten eine leichtbekleidete Varieté-
oder Zirkuskünstlerin, der ein junger Mann eine Zigarette anbot.
Test it! Die lächelnde junge Dame war umgeben von Federn und
Straß und angetan in einem hellen Trikot, das ihren Busen als zentrales
Motiv des Bildes unbekleidet ließ. Was mir eher gegen die Vermutung
zu sprechen schien, es könne eine Zirkusartistin sein, und seltsamerweise
die Frage provozierte, ob es sich denn bei dem Wesen überhaupt um
eine Frau handelte oder die Aufforderung Test it! sich nicht möglicherweise
weniger auf die Zigarette denn die angebotene Oberfläche bezog. Jene
Artistin mithin eine des Geschlechts wäre. Etwas in ihrem/seinem
Blick ließ mich an der entsprechenden Gewißheit zweifeln.
Die von den Feuilletons beim Kriegsausbruch rekrutierten Schriftsteller,
die sich beim ersten Kontakt mit dem feindlichen Wort erwartungsgemäß
als schlechtinformierte Freiwillige entpuppten, bemühen sich dagegen
zur Zeit sehr um Gewißheiten. Wobei ihre Scharmützel wie hilflose
Versuche anmuten, von den ernsthaft operierenden Einheiten in diesem Meinungskrieg
überhaupt wahrgenommen zu werden. Doch dazu bedarf es mehr. Etwa
eines literarischen Selbstmordkommandos wie das Peter Handkes, der einfach
die Halteleinen an seinem poetischen Heißluftballon über den
feindlichen Stellungen kappte.
Zur selben Zeit, als dessen Weidenkorb in den Zeitungen aufschlug, waren
hier in Krakau plötzlich sämtliche Werbetafeln der beschriebenen
Kampagne mit einem weißen Balken versehen. Er trug die Aufschrift
CENZURA und verbarg wie ein sehr knappes Bikini-Oberteil die beiden Brustspitzen
der Artistin. Welche Auswirkungen, fragte ich mich auf der Podwale Dunajewskiego
im Stau, während ich Bauarbeitern zusah, die hemdlos in der ersten
Frühlingssonne neuen Teer aufbrachten, hat es für die Zensur,
wenn es sich bei den jetzt verborgenen Brüsten tatsächlich um
die eines Mannes handelte? Ist andererseits die Frage, wie es sich verhält,
überhaupt von Interesse?
Für mich schon. Denn eine Armierung der Sätze, wie man sie jetzt
betreibt, scheint mir dem Verständnis der Welt nicht zuträglich
zu sein und den Krieg vor allem zu einer Gelegenheit für tote Worte
zu machen. Die aber werden der Komplexität globaler Konflikte, die
auch durch die Bedingungen ihrer medialen Vermittlung zugenommen hat,
nicht gerecht. Die moralische Aufladung des Krieges ist für mich
seine eigentliche Verharmlosung, und Autoren, die glauben, der Ernst der
Lage erfordere jetzt eine Sprache der schnellen Parolen, entlasten sich
von der Anstrengung des Begriffs und arbeiten dieser Verharmlosung zu.
Damit aber vernachlässigen sie ihre Aufgabe, die eben nicht darin
besteht, eine Meinung zu haben, sondern eine Darstellung zu finden. Und
also in der Erfindung der Welt, wie sie ist.
Mirco Bonné Text Bad in Oslo ist
einer der Sterne im Sternbild Krieg. Bonné wählt für
ein so mutiges wie nacktes Treffen mit Außenministerin Albright
Oslo. Eine geradezu somnambul literarische Wahl. Nur Literatur gelingt
es, allein durch die Nennung eines Wortes einen beinahe utopischen Klang
zu produzieren, in dessen Prisma sich derart zahlreiche Bedeutungen brechen,
daß es schon dreier Schneepflüge bedarf, um zu Bonnés
Frage durchzudringen, ob es sich bei den zierlichen Fesseln Frau Albrights
etwa um Implantate handeln könnte.
Was, wenn es sich bei der ganzen Zensur- wiederum um eine Werbeaktion
gehandelt hatte und also beides zuträfe, Brüste wie CENZURA
gleichermaßen gefälscht wären? Mit dem, der sich das ausgedacht
hat, überlegte ich, während die Baustellenampel auf Grün
sprang, ich die Kupplung kommen ließ und losfuhr, würde ich
gern über den Krieg sprechen.
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