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Alles neu? Nein. Doch acht Wochen NULL heißt
vor allem, lange dabei zuzusehen, wie die Texte, für die dieser Ort
gedacht ist, sich hier einleben. Welche kommen und sich niederlassen und
welche nicht, wer mit wem sich verträgt, wer wieder geht und wer
bleibt. Und was die Literatur im WWW überhaupt benötigt. Kam
sie doch bisher vor allem in den Link-Sammlungen einsamer Germanisten
vor und in jenen Verlags-Projekten, die obskuren Pfadfinder-Ideen vom
gemeinsamen Schreiben folgen. Als ob Literatur plötzlich in der Bastelgruppe
entstünde. Indem aber Schriftsteller zunehmend einen ganz pragmatischen
Umgang mit dem Internet erproben, der ihnen und nicht medientheoretischen
Thesen entspricht, beginnt das Netz langsam tatsächlich ein Ort für
Literatur zu werden. Und ein Ort für tatsächliche Literatur.
Kritik wie Lob an NULL entzünden sich meist am
Purismus des Projekts. Tut uns leid: NULL ist das, was es sein will -
ein Ort für gute Texte im Netz. Denn obwohl, wie Nietzsche sagt,
das Schreibzeug an unseren Gedanken mitarbeitet, haben die medialen Veränderungen
der letzten Jahre tatsächlich wenig mit Hyperlink-Literatur zu tun,
mit der Auflösung linearer Erzählstrukturen, dem Ende des Autoren-Subjekts
im Netz oder ähnlichen Feuilleton-Themen, viel jedoch mit einem radikalen
Umbruch des Lebens und Arbeitens von Schriftstellern.
Der Umgang mit dem Netz ist zum Indikator eines Generationenbruches
geworden, der so tief geht, weil er die Weise betrifft, wie Menschen miteinander
kommunizieren. Weil man es sich zweimal überlegt, ob man einen Brief
statt einer Mail schickt, und weil man jene, die handschriftliche Lebenszeichen
präferieren, möglichst nur noch zu runden Geburtstagen kontaktiert,
trennt eine immer größere Kluft diejenigen, die immer noch
im Computer eine bessere Schreibmaschine sehen, von denen, die ihn als
universale Kommunikationsmaschine nutzen. Denen ist der eigene elektronische
Schreibtisch längst zu einem, wenn man so will, öffentlichen
Ort geworden. Benötigte man früher die Schiffshebewerke der
Verlage, um Literatur in die Kanäle ihres Austauschs zu schleusen
wo sie dann sogleich, als für immer unveränderlich, auf
Grund liefen - , so zapft das Netz nun umgekehrt Literatur aller Couleur
in die heimische Badewanne ab. Eigene und fremde Texte begegnen sich im
Badeschaum deselben Textverarbeitung. Und so auch in NULL.
Wobei die weitaus meisten Autoren NULL als Gelegenheit
begriffen, nun endlich den Sprung ins Netz zu tun. Was zunächst nicht
nur bei Alban Nikolai Herbst - sagt man Ab-ja:-druck?- oder sagt man
Ab-mail?.... gggrrrrrosses Verwirrung in Kopf von mir.... ,
und nicht nur zu semantischen, sondern zu ganz handfesten technischen
Verwirrungen führte. So brachten wir viel Zeit mit allerlei Experimenten
zu, bei denen nicht nur einmal ein Text für immer verschwand. Aber
um Himmels Willen - welchen Text meinst Du - und welchen Jürgen?,
mailte etwa Burkhard Spinnen. Ich habe in den letzten Tagen hier ein
Computer-doctoring stattfinden lassen, zwecks Optimierung und Entmüllung
aller meiner Systeme. Ist dabei vielleicht auch Deine Nachricht dermaßen
verpfrmzlt worden, daß ich sie nicht mehr verstehe? Ich weiß
es nicht.
Inzwischen stellt Urs Richle seine Collagen ein, Andreas
Neumeister eine carte blanche, Helmut Krausser Tagebuchblätter, Jan
Peter Bremer schickt Postkarten und Alban Nikolai Herbst Mitschriften
aus der Welt der Chats, Johannes Jansens handschriftliche Notate aus dem
Bunker erscheinen als Faksimiles, Dagmar Leupold und Judith Kuckart entdeckten
denselben Geisterfahrer, Sabine Scholl Donna Haraway, John von Düffel,
Burkhard Spinnen und Jo Lendle denken in Geschichten übers
Millenium nach und Angelika Klüssendorf übers Klingeln,
Perikles Monioudis über die Geschichten selbst, Leander Scholz über
Frauen, Ingeborg Harms über Professor Flimmrich, Ulrich Holbein über
Hitler und Kathrin Schmidt über Osen.
Nach nur acht Wochen gewinnt NULL so
zunehmend an Kontur. Die wir durch einige vorsichtige Veränderungen
lediglich verstärken wollen: So haben wir der Sternenkarte von NULL
nun die thematischen Sternbilder eingezeichnet, die sich aus ihr bereits
herauslesen ließen. Um so in Erwartung der Vielzahl an Texten, die
es übers Jahren noch geben wird, den Lesern die Orientierung
zu erleichtern. Wir haben, wie erbeten, die Schriftgröße der
Texte auf 13 Pixel erhöht. Die neue Rubrik In/Out schließlich
weist auf jene Veranstaltungen von NULL in der realen Welt hin, die sich
zunehmend ergeben, auf Links und assoziierte Texte des Projekts. Denn
NULL ist zwar eine Anthologie im Netz, aber auch eine in der Zeit. Und
also in der Welt. Es kommt mir doch langweilig vor, eine ordentliche
Geschichte ganz einfach ins Internet zu tun, schrieb Katharina Hacker
und konstruierte einen Hypertext, der, wie sie hinzufügt, zudem
eine Gelegenheit ist, das eine oder andere Zitat hinzuzufügen. Etwa,
wie man weiße Pfauenfedern reinigt. Eben.
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